Migrationsgeschichten aus Deutschland

Im Zweiten Weltkrieg haben viele Menschen Heim und Heimat verloren, wurden vertrieben, mussten fliehen oder zogen um, um anderswo ein besseres Leben aufzubauen. Die Deutschen, die während des Krieges Leid über so viele Menschen gebracht hatten, wurden nun selbst Vertriebene. Etwa 12 Millionen Deutsche flohen aus den ehemaligen Ostgebieten: etwa acht Millionen wurden in Westdeutschland und vier Millionen in Ostdeutschland aufgenommen.  Die Schülerinnen und Schüler der Klasse DSD2, die sich dieses Semester intensiv mit dem Thema Migration und Integration befassten, haben in ihren eigenen Familien nach den Erlebnissen dieser Zeit gefragt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es sehr schwierig für meine Großmutter. In dieser Zeit wohnte sie in was jetzt Polen ist. Ihr Vater ist im Krieg gestorben und sie war nur sechs Jahre alt. Sie, ihre Mutter und ihre Schwester mussten nach West-Deutschland fliehen wegen den Sowjet-Soldaten. Für eine lange Zeit war es sehr schwierig für ihre Mutter, Arbeit zu finden, und es gab nicht genügend zu essen. (Cecilia S., 15 Jahre – Featurefoto – Cecilias Großmutter mit ihrer Schwester und ihren Eltern. Foto: privat)

Der Urgroßvater von Felix L, der nach dem Krieg in einem russischen Arbeitslager war. Foto: privat

Mein Urgroßvater wurde von den Russen nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Arbeitslager getan. Dadurch musste meine Urgroßmutter vier Babys allein großziehen. Unglücklicherweise mussten sie in einem Zimmer wohnen, weil eine Flüchtlingsfamilie bei ihnen einquartiert wurde. Drei Jahre später kam mein Urgroßvater zurück, um ihr beim Großziehen zu helfen. (Felix L., 15 Jahre)

 

Das Hochzeitsfoto der Großeltern von Austins Tante Betti: Maria und Franz Wolff, Foto: privat

Die Großeltern von meiner Tante Betti mussten vor dem Kriegsende aus Schlesien fliehen. Der Opa, Franz Wolff, war Soldat und kämpfte im Krieg. Die Oma, Maria, und die drei Kinder, Lothar, Christel und Brigitte, mussten im März 1946 einen Koffer packen und wurden mit einem Lastwagen zum Bahnhof gefahren und wurden dann mit anderen Frauen und Kindern im Waggon 13 Richtung Westen gefahren. In Sickte, bei Braunschweig, wurden alle aus Waggon 13 ausgeladen und in Familien untergebracht. Sie waren arm, hatten nichts, und die Leute in Sickte mochten die armen Flüchtlingsfamilien nicht. Später, als der Opa aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, hat er seine Familie über Listen vom Roten Kreuz gefunden. (Austin M., 16 Jahre)

Franz Wolff mit seinen Kindern Lothar, Christel und Brigitte. Christel ist die Mutter von Austins Tante Betti. Foto: privat

Die Großeltern meiner Mutter hatten einen großen Bauernhof im französischen Besatzungsteil von Westdeutschland, das jetzt Rheinland-Pfalz ist. Ihr Großvater wurde im Krieg verwundet und sie brauchten Hilfe für die Ernte und um die Felder zu bewirtschaften. Die Helfer wurden mit Essen, Trinken und Kartoffeln bezahlt anstatt Geld. Im Haus wohnten zwei Tanten, die ihre Ehemänner im Krieg verloren hatten und ihre Urgroßmutter.

Die Urgroßeltern von Aerin R.N. und ihre Kinder: Aerins Großmutter und ihre Schwester. Foto: privat

Die Urgroßmutter half mit dem Füttern von den Tieren (am Anfang zwei Kühe, ein Schwein und mehrere Hühner), bis die erste Ernte fertig war und die Großeltern Geld hatten vom Verkauf (von Kartoffeln, Äpfeln, Brot und Eiern). Manchmal wurden auch Kartoffeln und Äpfel oder Eier für Schuhe oder Stoff getauscht und Kleider selbst genäht. Für einige Monate hat auch der Schullehrer bei der Oma gewohnt. (Aerin R.N., 17 Jahre)

Während des Zweiten Weltkriegs lebte mein Großvater in Ostdeutschland. Im August 1942 wurde seine Familie von russischen Soldaten attackiert. Er war zehn Jahre alt und seine Brüder waren sechs und vier Jahre alt. Seine Eltern wurden erschossen und sind gestorben. Er wurde in den Arm geschossen. Er ist mit seinen zwei jüngeren Brüdern zuerst nach Nordhausen geflohen, um einen Arzt zu finden. Dort wurde seine Schusswunde genäht. Danach sind die drei Brüder nach Nürnberg geflohen. Dort lebte seine Tante, aber leider wurde ihr Haus im Krieg zerstört und sie hatte für die drei Brüder keinen Platz. Sie mussten in einem Waisenhaus leben. Jeden Tag hat mein Großvater in einer Brauerei gearbeitet, um für seine Brüder Essen kaufen zu können. Nach dem Krieg hat mein Großvater in Kiel studiert und wurde später Direktor des Verbandes der Landwirtschaftskammer. (Celina F., 16 Jahre)

Meine Familie kommt aus Kolumbien, also habe ich keine Großeltern oder Eltern, die eine Geschichte über Flucht haben, aber ich bin von Kolumbien nach Berlin gezogen, als ich vier Jahre alt war. Meine Mutter hat eine neue Arbeit gekriegt bei Transparency International. Sie arbeitete bei Transparency International, als wir in Kolumbien gelebt haben. Sie ist im März 2007 nach Deutschland gegangen. Sie hat bei einem Freund gelebt für ein bisschen, während sie ein Haus gesucht hat. Meine Schwester, mein Vater und ich sind in Kolumbien geblieben, so dass meine Schwester und ich das Schuljahr fertig machen konnten. Wir sind im Juni 2007 nach Berlin gegangen. Ich verstand nichts, ich konnte nur Spanisch sprechen und meine Schwester konnte Spanisch und Englisch zu sprechen. Diese Veränderung war sehr schwer, aber es hat mir und meiner Familie geholfen.  (Alejandra G.R., 16 Jahre)

Alejandras Familie: Links ihre Schwester Antonia, ihre Mutter Marcela, und rechts neben ihr ihr Vater Felipe. Das war ihr erstes Weihnachten, das sie nicht zuhause sondern in Deutschland gefeiert haben. Foto: privat

Meine Großmutter wurde während dem Zweiten Weltkrieg geboren. Sie wohnte mit ihrer Mutter und Schwester, kein Vater, weil er früh gestorben ist, in Pommern. Nach dem Krieg mussten sie fliehen, weil Pommern dann ein Teil von Polen war. Sie wurden nach Siegen umgesiedelt. Dort ist sie aufgewachsen. Ihre Familie war sehr arm, weil sie nur eine Mutter hatte und es eine Zeit war, in der viele Leute kein Geld hatten. Ihre Familie hatte nur ein Fahrrad und kein Auto.
Meine Oma hatte es schwer in der Schule, weil sie oft kein Geld für Schulsachen hatte, und sie wurde oft von den anderen Schülern gemobbt, weil sie ein Flüchtling war. Und weil sie dunklere Haut und schwarze Haare hatte, wurde sie auch als Zigeuner bezeichnet. (Nora R., 16 Jahre)

In meiner Familie, die in Süddeutschland ansässig ist, musste glücklicherweise niemand fliehen. Aus Erzählung in der Familie weiß ich, dass mein Urgroßvater nach dem 2. Weltkrieg Bürgermeister in der Gemeinde wurde, wo meine Familie herkommt.

Chris‘ Uropa Karl Bäder, Bürgermeister der Gemeinde Schornbach in Baden-Württemberg. Er lebte von 1896 – 1987 und war von 1945 – 1965 im Amt. Foto: privat

Eine seiner Aufgaben war es, Flüchtlinge bei Privatpersonen einzuquartieren. Das war nicht unproblematisch, denn die Flüchtlinge stießen nicht unbedingt auf sofortige Gegenliebe bei den Einheimischen. Diese hatten ihre eigenen Sorgen: z.B. waren die Männer teilweise noch nicht aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und die Frauen mussten alleine für die Kinder sorgen. Deshalb war die Aufnahmebereitschaft der Einheimischen nicht besonders hoch, aber man arrangierte sich. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den 1950er Jahren und ihren Fleiß konnten sich die Flüchtlinge in den 1960er Jahren dann ihre eigenen Häuser bauen.
Allgemein kann man sagen, dass sich die Flüchtlinge und vor allem ihre Kinder schnell in das Gemeindeleben integrierten. Das lag sicherlich auch daran, dass sie aus dem gleichen Kulturraum mit der gleichen Sprache kamen. Diese Kinder von damals sind heute Rentner und betrachten unser Dorf schon lange als ihre Heimat. (Chris A., 16 Jahre)

Meine Großmutter wurde 1942 in Lotterfeld, Ostpreußen geboren. Ihre Familie ist im Februar 1945 vor den Russen geflüchtet. Ihre Eltern, vier Schwestern und zwei Brüder und sie sind durch einen gefrorenen See gegangen, um eine kleine Landstraße zu erreichen. Das was gefährlich, denn das Eis ist ständig gebrochen und die Russen haben Bomben fallen lassen.

Sarahs Urgroßmutter Eleonora in der Mitte im Flüchtlingslager 1948. Sarahs Großmutter ist das Mädchen ganz vorne links, die anderen Kinder sind ihre Geschwister. Foto: privat

Sie haben es über den See geschafft, aber dann wurden sie von den Russen angehalten. Da wurde mein Urgroßvater festgenommen und seitdem weiß meine Familie nicht, was mit ihm passiert ist. Sie haben auch alles weggenommen, wie ihre Pferde. Meine Urgroßmutter hat sich dann entschieden, nach Lotterfeld zurückzukehren und das dauerte viele Wochen. Sie sind zu ihrem Haus zurückgekommen, aber die Russen hatten das Haus schon besetzt und haben ihnen einen kleinen Raum zum Teilen gegeben. Nach einem Jahr haben sie die Familie in einen Zug gesetzt und nach Chemnitz gebracht.

Sarahs Großmutter Eleonora, ganz rechts, mit ihren Geschwistern in Chemnitz, 1951. Foto: privat

Da wohnten sie in einer Barackensiedlung für fünf Jahre und waren sehr arm. Ihre Miete wurde nicht bezahlt, denn es wurde nur bezahlt, wenn der Vater gestorben ist und ihr Vater war verschollen. Nach fünf Jahren haben sie ihn als tot gemeldet und sie sind in eine Wohnung eingezogen. (Sarah S., 15 Jahre)

Meine Urgroßmutter auf der Seite meines Opas ist halb russisch und wohnte ganz im Norden Deutschlands in Eckernförde, und die Urgroßmutter auf der Seite meiner Oma ist  Deutsche ohne Migrationshintergrund . Mein Opa wohnte während seiner Kinderzeit in einem Einfamilienhaus in Eckernförde mit drei Geschwistern, und meine Oma wohnte in Tolsrüh, welches in der Nähe von Kiel ist. Dann sind von meiner Oma und meinem Opa Susanne (meine Mutter), Monika und Marco entstanden. Meine Mutter und ihre Geschwister und meine Oma und mein Opa wohnten alle zusammen in Lindhöft, einem Dorf zehn Minuten außerhalb von Eckernförde. Meine Mutter ist aber, als sie 22 war, nach Washington D.C. umgezogen, wo sie dann meinen Vater kennengelernt hat. Und aus den zwei sind meine Schwester, Siyanna, und ich, Sandoh, entstanden.

Mein Urgroßvater väterlicherseits kommt aus “Bumanja”, einem Dorf in der Region “Sandoh” in Sierra Leone. Mein Opa und meine Oma sind von zwei verschiedenen Stämmen. Meine Großmutter ist dann mit ihrem Mann, ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Amerika gekommen auf der Suche nach Arbeit und besserer Gesundheit (da es nicht so etwas wie Krankenversicherung dort gibt). Nachdem meine Großmutter und mein Großvater, ihre Geschwister und Mutter ihre Wohnplätze ausgesucht hatten und sich arrangiert haben, starteten sie nach kurzer Zeit eine Familie. Erst geboren wurde Dunyako, mein Vater, dann Fuambaii, danach Moimusa, dann Bockai, und anschließend Sunju. (Sandoh A., 15 Jahre)

Sandoh
Sandoh (rechts) mit seiner Familie. Foto: privat

Meine Mutter ist in Kirgisistan, Frunse aufgewachsen.  Sie und ihre Eltern sind deutsch, aber vor dem Krieg hat ihre Familie an der Wolga in Russland gelebt.  Mein Großvater hat mir einmal erzählt, dass er sich noch daran erinnern kann, wie er und seine Familie in einen Zug geworfen und dann nach Kasachstan geschickt wurden. Später hat mein Großvater einen Job in Kirgisistan, Frunse,bekommen, wo sie dann auch hingezogen sind.  Dies war auch der Geburtsort meiner Mutter. Circa 1980-90 wurde es Deutschen, die in der Sowjetunion lebten, wieder erlaubt heimzukehren. Meine Mutter und ihre Familie sind 1993 nach Deutschland umgezogen.

Leas Großmutter, ist in Lübeck an der Ostsee aufgewachsen. Das Bild ist von ihr an ihrer Konfirmation mit ihrem Cousin rechts neben ihr. Foto: privat

Die Geschichte meiner Großmutter auf der Seite meines Vaters ist nicht so detailliert.  Meine Großmutter ist in Lübeck an der Ostsee aufgewachsen. Sie hat ihren Vater nie kennengelernt, da er im Krieg verstorben ist.  Mein Großvater ist in Willenberg geboren, damals war es die Hauptstadt von Ostpreußen, heutzutage ist es Teil von Polen. Während dem Krieg ist er mit seiner Familie nach Bad Schwartau in Westdeutschland geflohen und hat sich dort ein neues Leben geschaffen. Er ist am 4. August 1934 geboren, und seine Schwester war zwei Jahre älter.  Zum Ende des Krieges drang das russische Militär in Deutschland durch Ostpreußen ein. Zu der Zeit war seine Schwester in einem Krankenhaus außerhalb Willenberg wegen Hüftproblemen. Die Invasion war so plötzlich und unerwartet, dass mein Großvater, seine Mutter und Oma sofort geflohen sind und seine Schwester im Krankenhaus lassen mussten, da die russischen Soldaten den Weg versperrt hatten.
In Bad Schwartau ist der Vater meines Großvaters wieder aus dem Krieg zurück gekommen, und sie haben dann durch das Deutsche Rote Kreuz versucht zu erfahren, was mit der Schwester passiert ist. Sie haben keine genaue Antwort bekommen, und der letzte Stand des Wissens war, dass sie immer noch vermisst wurde. Mehrere Jahre später hat er von seinen Eltern ein Päckchen geerbt, in welchem Briefe und ein Dokument drinnen lagen.  Eines der Dokumenten war in Polnisch ausgefüllt, und da einer seiner Nachbarn eine polnische Hilfskraft eingestellt hatte, hat mein Großvater sie dann gebeten, das Dokument zu übersetzen.  Es war ein kirchliches Dokument, das bestätigte, seine Schwester wäre in dem Friedhof neben dem Krankenhaus begraben. Sie hat den Krieg nicht überlebt. (Lea S, 14 Jahre)

Die Mutter von Zayus C. bei ihrer Einschulung mit Schultüte in Berlin. Sie ist sechs Jahre alt. Foto: Privat

Meine Urgroßeltern lebten während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland. Sie hatten einen Baumarkt in Berlin. Mein Urgroßvater wurde eingezogen, um im Krieg zu kämpfen. Er hat meine Urgroßmutter und ihren Sohn zurückgelassen und ist zum Kampf gegangen. Als er weg war, arbeitete meine Urgroßmutter alleine im Baumarkt. Glücklicherweise war mein Urgroßvater auf einem Boot stationiert. Das Boot blieb jahrelang im Eis stecken; Leute brachten Vorräte, um die Menschen auf dem großen Boot am Leben zu halten. Aus diesem Grund hat mein Urgroßvater im Krieg nie gekämpft. Er überlebte den Krieg und kam zu seiner Frau und seinem Sohn zurück. Jahre später, in den Nächten, wurde die Mauer gebaut; alle drei waren in ihrem Laden, der in West-Berlin war, obwohl ihr Haus in Ostberlin lag. Sie lebten einige Zeit in ihrem Laden, bevor sie ein Haus mieteten, bis die Mauer niedergerissen wurde. Während sie in diesem Haus lebten, wurde meine Mutter geboren. Sie lebte in Deutschland bis zum Ende ihrer Schulzeit. (Zayus C., 16 Jahre)

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