Text und Fotos: Allison Meakem (18 Jahre)
BERLIN, 15. April 2016 – Die Lampen sind aus und die Fenster sind offen, das Zimmer vermittelt sehr natürliche und lockere Gefühle. Die im Halbkreis sitzenden Schüler blicken auf einen Mann, der vor ihnen steht: Er hat lange, blonde Haare und ist leger und bequem angezogen. Alle sind momentan still, während der Vogelgesang als Hintergrundmelodie von außen reindringt. Die allgemeine Atmosphäre ist offen und tolerant.
Diese Offenheit und Toleranz zeigt sich auch bald im Gespräch: Der Leiter, Rafael Rickfelder, 23, bittet die Schüler, ihre Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung in einer Simulation mit wahllos zugewiesenen Identitäten zu teilen. Die einen sind Flüchtlinge, die anderen zum Beispiel deutsche Schüler mit
reichen Eltern. Danach sprechen sie über Diskriminierung in ihrem eigenen Leben: das wirklich Berührende.
„Manchmal ist es schwierig, ein Mädchen in Brasilien zu sein, weil Mädchen da weniger Chancen haben“, berichtet die 16-jährige Joana. Andere Schüler nicken—das sei bei ihnen in ihren Ländern auch der Fall. Joanas Kommentar führt zu einer Diskussion über Diskriminierung: Rassismus ist lange nicht der einzige Grund, wieso es Vorurteile gibt.

Zum Thema Diskriminierung aufgrund der Herkunft haben wohl viele etwas zu sagen, vor allem die Schüler aus Griechenland. „Griechenland ist oft nur wegen seine Krisen bekannt, aber nicht für seine schönen Inseln“, meint der 16-jährige Jannis. Übereinstimmend fügt seine Mitschülerin Vicky, auch 16, hinzu: „Viele Leute denken, dass sie mir nicht vertrauen können weil ich Griechin bin.“ Die Gruppe ist einen Moment still, denn es stimmt: In letzter Zeit sieht man nur Schlechtes über Griechenland in den Medien. Doch diese beiden Schüler sind ein gutes Beispiel dafür, dass es viel mehr in Griechenland gibt als Finanzkrisen und korrupte Politiker und dass man auch nicht die Bevölkerung eines Landes wegen der Fehler einiger Leute beurteilen sollte. Rickfelder bestätigt diese traurige Realität: „Herkunft ist was, worauf die Leute sich wahnsinnig gerne drauf setzen.“

Foto: Allison Meakem
Die Finanzkrise ist lange nicht das einzige, das Politik und Rassismus verbindet. Mit der jetzigen Flüchtlingskrise in Europa ändern sich die Ideologien der Menschen schnell—und zwar gehen sie hauptsächlich nach rechts. Vor allem in Deutschland, wo im Jahr 2015 laut des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 1,1 Millionen Flüchtlinge ins Land kamen und es 476.649 Asylanträge gab, beobachtete man im letzten Jahr unheimlich beunruhigende Entwicklungen in Sachen Rassismus und Rechtsradikalismus.
Rassismus war schon immer in jeder Kultur, in jedem Land und zu jeder Zeit ein gewisses Problem—mal mehr und mal weniger und in unterschiedlichen Ausprägungen. Besonders bekannt im Fall Deutschlands ist natürlich die Zeit des Dritten Reiches. Doch trotz vieler Fortschritte in den letzten Jahrzehnten und der Entwicklung einer Kultur der Toleranz („Willkommenskultur“—auf die die Politiker so gerne hinweisen), ist der Aufstieg der fremdenfeindlichen Kriminalität ein Kennzeichen der letzten drei Jahre in Deutschland. Die Welt berichtet, dass 2015 jeden Tag mindestens eine Person Opfer fremdenfeindlicher Gewalt war: Mitte September letzten Jahres gab es schon 389 eingetragene Fälle. Diese Zahl—so abschreckend wie sie schon ist—enthält aber gar nicht die etlichen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, die es 2015 gab: 850. Insgesamt waren da 1239 fremdenfeindliche Fälle der Kriminalität und Gewalt—mehr als drei pro Tag.
2014 zeigte sich noch ein ganz anderes Bild. Die Amadeo und Antonio Stiftung erzählt von insgesamt 328 Angriffen: Übergriffe, Brandanschläge und andere Straftaten. Obwohl diese Statistik immer noch erstaunlich und auch beunruhigend ist, ist sie viel niedriger als die vom folgenden Jahr. Da gab es 911 Anschläge —ein Zeichen, dass sich der Rechtsradikalismus im Zusammenhang mit Rassismus unheimlich stärkt.
Aber woher stammt der Rassismus? Diese Frage bearbeiten die Schüler des „Anti-Rassismus-Workshops“ auch, und zwar fällt dies unter das Thema „Aussehen“— eines der letzten Schlüsselwörter, die Rickfelder an die Tafel schrieb. Fynn, ein 16-Jähriger aus Hamburg, hat eine Theorie: „Es gibt immer ein gewisses Bild in der Gesellschaft, und wenn man aus dem Raster fällt, dann gucken alle hin.“ Solche Ideale führen dann auch zu einem bestimmten Nationalbild, das Fremdenfeindlichkeit fördert und pflegt. So ist die Partei AfD (Alternative für Deutschland) 2013 in Deutschland entstanden. Ihre politische Auffassung ist Nährboden für rassisstische Gedanken und könnte die vielen Angriffe, die es jetzt gegen Migranten und Flüchtlingen gibt, begünstigt haben. In den drei Landtagswahlen, die im Frühjahr 2016 stattfanden, gewann die AfD mindestens den dritten Platz und so auch Sitze in den Landtagen von Baden-Württemberg (15,1%), Rheinland-Pfalz (12,6%), und Sachsen-Anhalt (24,3%).
Obwohl die AfD viele Stimmen von Wählern bekam, die zuvor andere Parteien wählten, hat die Partei auch viele Nichtwähler mobilisiert. Das heißt, dass das Gefühl der Benachteiligung durch die Anwesenheit von Ausländern in den letzten Jahren sehr gewachsen ist und dass der Rassismus einen neuen Höhepunkt erreicht hat.
Doch Rafeal Rickfelder und seine Organisation „Schule Ohne Rassismus“ wollen diesen Trend schrittweise ändern. Dabei handelt es sich nicht um eine eigentliche Schule, sondern um ein deutschlandweites Netzwerk, das Workshops und Projekte in Schulen leitet, um eine andere und offene Denkweise in der Jugend zu pflegen. Normalerweise arbeitet dieses Projekt länger mit Schulen zusammen. Aber die PASCH-Schülerkonferenz ist durch ihre kurze Dauer anders, doch nicht weniger wert. Im Gegenteil ist diese Erfahrung hier ganz besonders, denn 17 Schüler aus sieben verschiedenen Ländern, die teilweise sogar miteinander im Konflikt sind, friedlich im selben Zimmer zu haben und sie beim Gespräch von ganz persönlichen Themen zu beobachten, ist unheimlich berührend. Das gibt einem in einer Welt voller AfD, Fremdenhass und Rassissmus irgendwie auch ein bisschen Hoffnung für die Zukunft.